Polen – Unser unbekanntes Nachbarland, das nicht gerade zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen zählt.
„Warst du schon mal in Polen?“ – „Nein.“
„Was verbindest du mit Polen?“ – „Wodka, geklaute Autos und billige Arbeitskräfte.“
… dies sind leider noch zu oft die Antworten – Klischees und Vorurteile – von denjenigen, die noch nie in Polen waren.
Alles begann damit, dass meine Ausbilderin mich über die Möglichkeit informiert hatte, sich für ein Auslandspraktikum mit „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ (ASF) in Polen zu bewerben. Mein erster Gedanke war: „Klar, da bin ich dabei!“,
mein zweiter: „Aber wer oder was ist bloß ASF und was machen die?!“
Hier eine kleine Erklärung für diejenigen, denen ASF genauso wenig sagt, wie mir damals:
ASF ist ein gemeinnütziger Verein und setzt sich mit dem Nationalsozialismus und dem begangenen Verbrechen in der Welt auseinander. ASF will junge Menschen für die heutigen Folgen dieser Gewaltgeschichte sensibilisieren und bietet Jugendlichen vor diesem Hintergrund die Möglichkeit, sich als Freiwillige im Ausland sozial zu engagieren.
![Gruppenfoto Einführungsseminar]()
> Geschichte näher kennenlernen. Bedürftigen helfen. Ausland entdecken. Neue Erfahrungen sammeln. Neue Azubis treffen. <, dachte ich mir und schickte drei Tage darauf meine Bewerbung ab. Zehn Plätze hatte die Daimler AG in Stuttgart zu vergeben. Bewerben konnten sich alle Auszubildenden deutschlandweit – und ich hatte das große Glück, für das Werk Düsseldorf ausgewählt worden zu sein.
STARTSCHUSS
Am Samstag landete ich dann in Krakau – zwar mit einer 4 stündigen Verspätung, „das fängt ja schon gut an…“, dachte ich mir – aber somit konnte das Projekt Polen endlich beginnen. Die letzten Tage vor dem Abflug war ich schon ziemlich aufgeregt und nachdenklich, ob auch alles klappen wird, aber gleichzeitig hatte ich mich auch tierisch gefreut, etwas Neues zu erleben und neue Menschen kennen zu lernen.
Nach einem ausführlichen Einführungsseminar ging es dann am nächsten Morgen für jeweils zwei Azubis mit dem Bus oder Zug in die verschiedenen Städte: Warszawa/Warschau, Kraków/Krakau, Lublin, Ausschwitz und meiner Projektstelle Breslau, der ich mit Dennis Bosner zugeteilt wurde. Jetzt wurde es so langsam „ernst“.
> Auf welche Menschen werde ich treffen? Was werden meine Aufgaben sein? Wie wird meine Unterkunft aussehen? < – lauter Fragen tummelten sich in meinem Kopf. Im gleichen Moment beruhigte mich meine innere Stimme aber wieder mit den Worten „Hey Monika, du sprichst polnisch, du kennst das Land, du brauchst dir keine Gedanken machen, alles wird gut.“
Und JA, es wurde alles gut!
![Krakau]()
271 Kilometer später
Nach entspannten 271 km Busfahrt erreichten wir dann schließlich unser Ziel Wrocław/Breslau. Dort wurden wir von einem ASF-Freiwilligen abgeholt und mit dem Taxi ging es dann weiter zu unserer Unterkunft, dem Studentenwohnheim „Ołowek/Bleistift“. Dort angekommen beantwortete sich auch schnell eine meiner Fragen: Uns wurde jeweils ein Modul im 1. Stock zugeteilt, das aus einem Einzelzimmer, einer Küche und einem Badezimmer bestand. Nur ein kleiner Blick genügte und ich wusste, dass ich mich hier die nächsten zehn Tage wohl fühlen werde. Eine kleine, aber feine Wohnung, die sauber war, und das war die Hauptsache! Nach kurzem Kofferabstellen ging es auch schon zu Fuß weiter ins Edith-Stein-Haus, das für die nächsten Tage unsere Projektstelle war. Dort lernten wir die zweite ASF-Freiwillige kennen, sowie drei Mitarbeiterinnen des Hauses.
Großen Hunger hatten wir – deshalb ging es erst einmal in eine polnische „Pierogarnia“, wo wir zusammen mit den zwei Freiwilligen zu Mittag aßen und uns ein bisschen näher kennen lernten. Nach leckerem Speis und Trank starteten wir eine Stadtbesichtigung und sahen uns verschiedene Plätze in Wrocław/Breslau an. Besonders schön war es oben auf dem Turm der Kathedrale St. Johannes des Täufers, auch Breslauer Dom genannt – einfach ein toller Ausblick auf die ganze Stadt!
![Jüdischer Gedenktag]()
Nach einigen Stunden Sightseeing ging es zunächst in den Supermarkt, denn der Kühlschrank war leer und Essen musste her! Brot, Butter, Käse, Wurst, Saft, Tee, Wasser, Quark und Obst wurden eingekauft und stellten für die folgenden Tage mein Frühstück und Abendessen dar. Ein warmes Mittagessen bekamen wir von außerhalb: Milchbars, Street Food Festival und auch mal ein Restaurant war drin. Der Einkauf war erledigt und nun begann man sich im Wohnheim einzuleben.
Die erste Nacht in der „eigenen Wohnung“ war schon recht anders, so ganz alleine in einer fremden Umgebung und ohne vertraute Personen um sich rum. Diese Unsicherheit war jedoch schon am nächsten Morgen wie weg geflogen! Jetzt fand ich es richtig cool, meine „eigenen vier Wände“ zu haben, auch wenn es nur für zehn Tage war, aber ich war meine eigene Herrin. Ich hatte mein eigenes Zimmer, meine eigene Küche, mein eigenes Badezimmer und meinen eigenen Balkon – was wünscht man sich mehr!
Zu Gast bei Frau Nowak
Die folgenden Tage verbrachten wir damit, dass wir einen jüdischen Friedhof, eine Synagoge, die „Hala Stulecia“/Jahrhunderthalle (Weltkulturerbe), den Zoo und einen polnischen Wochenmarkt besichtigt haben. Ein besonderes Highlight war der Besuch bei einer 84-jährigen, jüdischen Dame, die den ganzen Samstagnachmittag von ihrem Leben während des Nationalsozialismus erzählte. Sie zeigte uns erschütternde Fotos, ihre gefälschten Pässe, mit denen sie damals geflohen ist, kochte für uns Tomatensuppe, gab uns koschere Matzen mit Butter und Salz zu essen und schloss uns tief in ihr Herz ein. Sie war eine sehr aufgeweckte Frau und so glücklich darüber, dass wir sie besucht haben und ihr ein offenes Ohr und Interesse geschenkt haben. Vier Stunden lang waren wir bei ihr und für mich war es mit der Zeit doch sehr anstrengend, weil ich alles, was sie erzählte, für meinen Begleit-Azubi Dennis übersetzt habe – und Pani (Frau) Nowak hatte sehr viel zu erzählen.
![Besuch bei Frau Nowak]()
Gleich am nächsten Tag waren wir nochmals mit ihr verabredet und begleiteten sie zum jüdischen Gedenktag „Der Aufstand im Warschauer Ghetto“. Es kamen viele jüdische Mitmenschen zum „Plac Bohaterów Getta“ Denkmal zusammen und es wurden Reden von Zeitzeugen und einem Rabbi gehalten, sowie gebetet. Zu unseren Aufgaben während des Praktikums zählten auch verschiedene Arbeiten im Edith-Stein-Haus, wie z.B., dass wir den Saal für den anstehenden Workshop „Edith Stein – Light from above“ vorbereitet haben. Dies war ein Workshop, in dem junge Menschen/Studenten aus Deutschland, Polen, Guatemala und Ungarn zusammen kamen, um gemeinsam eine 3D Mapping Show über Edith Stein zu kreieren; hier das Ergebnis.
Außerdem habe ich auch die Führung durch das Edith-Stein-Haus für die deutschsprachigen Gäste übersetzt, sowie bei verschiedenen Dolmetschertätigkeiten im Büro geholfen. Und zu guter Letzt hatten wir noch die Möglichkeit die Freiwilligen beim Deutsch- und Englischunterricht für Senioren zu begleiten. Das Zusammenarbeiten mit den älteren Menschen hat total viel Spaß gemacht und es war schön zu sehen, dass man ihnen helfen und etwas beibringen konnte. Mit letzten unterstützenden Aufgaben im Büro des Edith-Stein-Hauses endete somit auch meine Praktikumszeit in Wrocław/Breslau.
![Jüdischer Gedenktag]()
Am Freitagmorgen ging es dann wieder 271 km zurück nach Kraków/Krakau. Diesen letzten Tag verbrachten wir Azubis natürlich alle zusammen. In einem Auswertungsseminar gemeinsam mit Herrn Weisschuh (Koordinator für Bildungsprojekte im Ausland, Mercedes-Benz Stuttgart), Herrn Krane (ASF-Beauftragter aus Berlin) und zwei ehemaligen ASF-Freiwilligen stellten wir jeweils unsere Projektstelle vor und erzählten von unseren Erlebnissen. Wir waren offen und ehrlich und gaben positives, als auch negatives Feedback, denn nur so kann man das Austauschprojekt für die nächsten Azubis verbessern und weiter ausbauen.
Resümee
Mein Feedback zum Projekt ist, dass es im Großen und Ganzen sehr empfehlenswert ist und ich finde es gut, dass dies auch die kommenden Jahre für neue Azubis angeboten wird. Man lernt zum einen die Geschichte hautnah von Zeitzeugen kennen und zum anderen lernt man unseren „unbekannten“ Nachbarn näher kennen. Die enorme Gastfreundschaft, das leckere Essen und die sehr schönen Städte – das zeichnet Polen aus und dies sollte jeder von uns einmal kennen lernen und erleben! Auch wenn der ein oder andere Azubi zunächst mit gemischten Gefühlen oder Vorurteilen ins Land gefahren ist, kann dieser jetzt aus Erfahrung sprechen und sagen, dass Polen ein tolles Nachbarland ist und es dort viel zu entdecken gibt.
![Auswertungsseminar]()
Das Projekt hat nicht nur mein geschichtliches Wissen erweitert, sondern mich auch in meinen persönlichen Fähigkeiten weiter gestärkt. Wir jungen Menschen haben uns während dieser Zeit sehr stark mit dem Nationalsozialismus auseinander gesetzt und wurden auch im Hinblick auf dieses Verbrechen sensibilisiert. Und durch unsere Teilnahme haben wir ein kleines Zeichen gesetzt, damit diese Gewaltgeschichte nicht in Vergessenheit gerät.
Zitate der anderen Azubis:
„Volles Programm und sehr abwechslungsreich. Zum Highlight des Projektes gehörte mit Abstand der March of the living. Tolles Programm, das der Daimler seinen Azubis anbietet.“
– Nicole Ullrich & Apostolos Kanakidis
„Durch das Projekt konnte ich Kontakte mit anderen Auszubildenden aus Deutschland knüpfen und die Kultur Polens, sowie prägende Momente rund um die Verbrechen des Nationalsozialismus erleben.“
– Dennis Bosner
„Die Geschichte ist der beste Lehrer mit den unaufmerksamstem Schülern – Mahatma Gandhi.
Und genau deshalb sind wir froh, im Rahmen dieses Projektes, durch eindrucksvolle Gesprächen mit einer Zeitzeugin und unter anderem dem Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz, mehr über die Zeit des Nationalsozialismus erfahren zu haben. Diese Besuche haben uns noch einmal vor Augen geführt wie unbeschreiblich menschenunwürdig diese Zeit war. Jetzt liegt es an uns allen dies nicht nochmals geschehen zu lassen. Diese Zeit darf nicht vergessen werden.“
– Kira Skerra & Juliane Veil
„Das Projekt mit dem Schwerpunkt NS – Verbrechen hat uns die Tragweite des 2. Weltkrieges und seine Grausamkeit viel näher gebracht, als der Geschichtsunterricht dies je könnte. Vor allem mit KZ-Überlebenden zu sprechen war für uns eine ganz neue Erfahrung und sorgte für manchen Gänsehautmoment.
Trotz der vielen bedrückenden Momente war der Aufenthalt für uns positiv und zeigte uns, dass wir Zitat >die nächste Generation sind, wir uns keine Vorwürfe machen und alles daran setzten sollen, dass so etwas nicht wieder passiert<“.
– Fabian Kamilli & Nico van Himbergen
„Wieviel Geschichte in der Stadt Lublin steckt, wird einem erst bewusst, wenn man sich dort befindet. Wir erlebten eine wahnsinnig spannende, lehrreiche und schöne Zeit während unseres Praktikums.“
– Jan Knitz & Fabian Bohnacker
![Gruppenfoto Auswertungsseminar]()